Jane Campion widmet «Top of the Lake» II den schmerzvollen Müttern unserer Zeit

Die Fortsetzung von «Top of the Lake» spielt in der australischen Metropole Sydney. Die Frage, was Mutterschaft in unserer Zeit bedeutet, steht im Zentrum dieser mit Elizabeth Moss, Gwendoline Christie und Nicole Kidman brillant besetzten Fernsehserie.

Ein schwerer Rollkoffer wird im nächtlichen Sydney über eine Steilküste ins Meer entsorgt. Das Gepäckstück sinkt auf den Grund. Lange schwarze Haare quellen hervor, wiegen sich im Takt der Wellen. Als der Koffer später zurück an den Strand gespült wird, gibt er seinen unheimlichen Inhalt preis: die Leiche einer jungen Asiatin.

Mit der unbekannten Toten beginnt die zweite Staffel der Serie «Top of the Lake», die Regisseurin und Oscar-Preisträgerin Jane Campion gemeinsam mit Co-Autor Gerard Lee geschrieben hat. Vier Jahre sind seit den Ereignissen in der wilden Abgeschiedenheit Neuseelands um eine schwangere Zwölfjährige, eine Frauenkommune und einen Pädophilenring vergangen.

Robin Griffin (Elizabeth Moss, zuletzt in «The Handmaid’s Tale» zu sehen) ist nach Australien zurückgekehrt, arbeitet wieder als Polizistin bei der Mordkommission. Nun will Robin endlich auch Kontakt zu ihrer Tochter Mary aufnehmen, die sie vor 17 Jahren unmittelbar nach der Geburt zur Adoption freigegeben hatte.

Die Grenzen lösen sich auf

Mary, ein rebellischer Teenager, lehnt sich gegen ihre Adoptivfamilie auf (Nicole Kidman spielt mit grauer Lockenperücke, falscher Nase und Sommersprossen grossartig diese Mutter), bringt ihren viel älteren Freund Alexander zu desaströsen Familienessen mit nach Hause.

Marys Freund, gescheiterter Historiker aus der ehemaligen DDR, lebt als Zuhälter von den Mieteinnahmen eines Bordells. Auch bekannt unter dem despektierlichen Übernamen «Puss», inszeniert er sich als romantischer Revolutionär. Auf dem Sofa sitzend, umringt von asiatischen Sexarbeiterinnen, bringt er diesen klassenkämpferische Phrasen auf Englisch bei. Da auch die Tote vom Strand hier gearbeitet hat, lösen sich für Robin die Grenzen zwischen polizeilicher Ermittlungsarbeit und persönlicher Vergangenheitsbewältigung im Verlauf der Geschichte immer stärker auf.

Mit dem Schauplatzwechsel von der charakteristischen Landschaft mit den nebelverhangenen Bergen und verzauberten Urwäldern Neuseelands (der ersten Staffel) hin in das Strandmilieu der australischen Metropole fordert Jane Campion ihr Publikum heraus. «Top of the Lake» hat nichts von seinem Reiz eingebüsst. Campion, die bei zwei der sechs Folgen selbst Regie geführt hat, lässt ihre Protagonistin in uniformen, gesichtslosen Wohnquartieren, in Bürogebäuden und düsteren Hinterhöfen ermitteln.

Anklänge an David Lynch

Zwischendurch werden Anklänge an die Filme von David Lynch wach – etwa im Bordell mit seinen langen, dunklen Gänge voller geschlossener Türen. Oder wenn Robin in surrealen Träumen wiederholt von Embryos und leuchtenden Babys heimgesucht wird.

Fruchtbarkeit und Mutterschaft erhalten in «Top of the Lake» viel Raum. Es geht um Adoptivmütter, biologische Mütter und Leihmutterschaft. Dabei entwirft die Serie ein ziemlich gebrochenes Bild von Mutterschaft. Keine der Frauen scheint glücklich: Robins Arbeit leidet unter den Schuldgefühlen, da sie ihre Tochter zur Adoption freigegeben hat.

Marys Adoptivmutter Julia wiederum fürchtet den Bruch mit ihrer Adoptivtochter (verkörpert von Jane Campions Tochter Alice Englert). Robins Kollegin (Gwendoline Christie, bekannt aus «Game of Thrones») erwartet gemeinsam mit ihrem verheirateten Chef ein Baby. Zudem stellt sich im Verlauf der Ermittlungen heraus, dass über das Bordell auch Prostituierte aus Asien als Leihmütter für verzweifelte kinderlose Paare vermittelt werden.

Aber auch die männlichen Protagonisten agieren glücklos. Pyke, Marys Adoptivvater, bleibt seltsam passiv. Alexander missbraucht Mary nach Strich und Faden, während sich Robin wiederholt gegen plumpe sexuelle Belästigungen eines Arbeitskollegen wehren muss.

«Top of the Lake – China Girl» wirft recht unverkrampft einen kritischen Blick auf Geschlechterverhältnisse. Ihre Irrationalität und Schwäche verleiht den Protagonisten auch ein Stück Lebendigkeit und Realitätsnähe. Diese Facettierung beherrscht Jane Campion meisterhaft.

Der Artikel ist zuerst am 7. Dezember 2017 in der NZZ erschienen

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