Ist die Krankheit einmal besiegt, fängt für Krebsbetroffene der nächste Kampf an: zurück in den Alltag zu finden. Gerade die Arbeitswelt tut sich mit der schnell wachsenden Zahl der „Cancer Survivors“ schwer.Text: Beatrice BösigerNach acht kräftezehrenden Monaten war endlich Schluss. Die Therapie war vorbei, der Brustkrebs Vergangenheit. Draussen war Frühling und gleichzeitig mit Blättern und Gras kehrten auch die Haare auf dem Kopf der Autorin wieder zurück. Optimistisch blickte ich nach vorne, freute mich auf meine Arbeit und darauf nicht mehr ständig zu Terminen im Spital erscheinen zu müssen. Doch auch wenn die äusserlichen Anzeichen von Chemotherapie und Bestrahlung bald verblassten, war der Weg zurück in den Alltag noch weit. Vieles was vor der Diagnose bei der Arbeit selbstverständlich erschien und ohne viel Nachdenken erledigt wurde, nahm nun plötzlich doppelt so viel Zeit in Anspruch. Müdigkeit, Erschöpfung und Konzentrationsschwäche verschwanden trotz langer Ruhepausen nicht. Vollzeit zu arbeiten erwies sich als schwierig. Immer wieder galt es die eigenen Erwartungen an sich selbst zu revidieren. Gefühle wie Unsicherheit, Zweifel an der eigenen Leistungsfähigkeit und Angst vor einer Rückkehr der Krankheit waren in dieser Zeit ständige Begleiter.Das Vertrauen in den eigenen Körper zurückzugewinnen war ein langer Prozess. Trotz aller Schwierigkeiten spielte Arbeit dabei eine wichtige Rolle: sie war Ablenkung, gab Selbstvertrauen und bot eine Möglichkeit, die Patientinnenrolle zumindest für kurze Zeit zu verlassen. Einfach ist das nicht. Denn die Folgen einer Krebstherapie können manchmal noch jahrelang spürbar sein. Die Symptome sind diffus und lassen sich oft schwer fassen.Zur sogenannten Fatigue, einer der häufigsten Nebenwirkungen, gehören neben Müdigkeit etwa auch Konzentrationsschwäche oder eine gesunkene Stressresistenz. Auch Chantal Klein* litt darunter. Ihre Rückkehr ins Büro hatte sich die 34-Jährige aus dem Raum Zürich jedoch anders vorgestellt. Denn eigentlich sah alles gut aus. Nach ihrer Brustkrebstherpie freute sich Klein wieder auf ihren Job als Qualitätsprüferin in der Lebensmittelindustrie. Zumal der Arbeitgeber bereits während ihrer Abwesenheit Unterstützung signalisiert hatte: abgemacht war ein geringes Teilpensum zum Wiedereinstieg, welches dann sukzessive gesteigert werden sollte.Doch schon kurz nach ihrer Rückkehr begann sie mit den Nachwirkungen der Therapie zu kämpfen. „Es gab Tage, an denen ich mich nach einem zehnminütigen Fussmarsch vom Bahnhof zuerst einmal ein paar Minuten hinsetzen musste“, erinnert sich Klein. Bei ihrer Chefin fand sie dafür kein Verständnis: Sie bringe die geforderte Leistung im Job nicht mehr, sei zu dumm, warf diese ihr vor.Erst versuchte die Lebensmitteltechnikerin, die Vorwürfe zu ignorieren. Nach ihrer langen Abwesenheit wollte sie unbedingt arbeiten, eine erneute Krankschreibung lehnte sie ab. Das Mobbing liess aber nicht nach. „Ich galt immer als die mit der schweren Krankheit, auf die man besonders Rücksicht nehmen musste“, sagt Klein. Keine ihrer Leistungen sei noch für gut befunden worden. Als sie bei einer Beförderung übergangen wurde und sich beschwerte, eskalierte die Situation. Chantal Klein wurde per sofort freigestellt. Vier Jahre nach ihrer Krebsdiagnose schildert die junge Frau die damaligen Ereignisse distanziert, fast nüchtern. Psychisch sei es ihr damals aber sehr schlecht gegangen. „Ich fiel in ein tiefes Loch.“Fälle wie der von Chantal Klein, die als Krebsbetroffene bei der Rückeroberung ihres Alltag den Job verlieren, kennt Rolf Huck etliche. Der Geschäftsführer der Krebsliga Zürich sagt: „Unsere Gesellschaft ist durch den herrschenden Leistungsdruck nur ungenügend auf Menschen vorbereitet, die unter den Spätfolgen einer Krebstherapie leiden.“ Die Zahl der sogenannten „Cancer Survivors“ hat in den letzten Jahren in der Schweiz rasant zugenommen. Schätzungsweise 317’000 Personen leben laut dem Nationalen Institut für Krebsepidemiologie und -registrierung mit der Diagnose Krebs. In den nächsten zehn Jahren steigt ihre Zahl voraussichtlich auf eine halbe Million Personen. Viele von ihnen kehren nach dem Ende der Therapie auch wieder ins Arbeitsleben zurück.Am Arbeitsplatz ist der Umgang mit Krebsbetroffenen für die Kollegen und Chefs jedoch häufig mit Unsicherheiten behaftet: Bin ich aufdringlich, wenn ich mich täglich bei der krebskranken Kollegin nach ihrer Gesundheit erkundige? Mag der Kollege beim Gespräch über die Banalität des gestrigen Fussballspiels überhaupt mitdiskutieren? Auf der anderen Seite müssen Betroffene entscheiden, wie viel sie am Arbeitsplatz über ihre Gesundheit preisgeben wollen. „Am besten legt man sich gegenüber dem Arbeitgeber ein Kommunikationsschema zurecht“, rät Rolf Huck von der Krebshilfe. Grundsätzlich gilt: Informationen über Krankheit und Behandlung sind Teil der Privatsphäre. Der Arbeitgeber hat allerdings das Recht, sich nach der Dauer der Abwesenheit und der Leistungsfähigkeit zu erkundigen.Für die Thunerin Ricarda Bender-Gal war es ein grosses Anliegen, trotz Brustkrebs im Job zu bleiben und einen möglichst normalen Alltag zu haben. Dazu gehörte für Wasserbauingenieurin beim kantonalen Tiefbauamt auch, offen zu kommunizieren und die Kollegen möglichst rasch über ihre Diagnose zu informieren. Während der Therapie arbeitete die 34-Jährige flexibel. Nach ihrer Rückkehr legte sie gemeinsam mit ihrem Chef fest, ab wann sie wieder welche Aufgaben übernehmen kann. „Wir haben sehr stark darauf geschaut, was sich Ricarda zutraut“, erzählt ihr Chef, Kreisoberingenieur Markus Wyss.Doch auch Bender-Gal überschätzte sich beim Wiedereinstieg. Zu schnell arbeitete sie wieder Vollzeit. Die Erwartungen an die eigene Leistungsfähigkeit seien jedoch immer wieder mit den Folgen der Therapie kollidiert. „Als ich dann gemerkt habe, ich bringe nicht mehr ohne weiteres eine hundertprozentige Leistung, hatte ich gegenüber meinen Kollegen lange Zeit Gewissensbisse“, sagt sie. Heute hat sie ihr Pensum auf 80 Prozent reduziert.Für ein Unternehmen bedeutet ein Krebsfall nicht nur menschliche, sondern auch organisatorische Einschnitte. „In unserem Team war es für alle selbstverständlich, Ricardas Aufgaben zusätzlich zu den eigenen zu übernehmen“, sagt der Vorgesetzte Markus Wyss. Ein Teammitglied zu ersetzen, ist für den Arbeitgeber aber nicht immer einfach. Das Geld ist vielerorts knapp, die personellen Ressourcen beschränkt.Seit vergangenem Jahr bietet die Krebsliga Beratungen und Workshops für Unternehmen zu dieser Thematik an. Erste Rückmeldungen sind laut Geschäftsführer Huck positiv – die Arbeitgeber seien zum grossen Teil daran interessiert, die erkrankten Mitarbeiter im Betrieb zu halten. Bislang nützen vor allem KMUs, die in ihrem Betrieb mit einem Krebsfall konfrontiert sind, das Angebot. Im Gegensatz zu Grossunternehmen mangelt es ihnen oft an Geld und Personal, um lange krankheitsbedingte Ausfälle zu kompensieren. Allgemein gültige Regeln im Umgang mit Krebs zu vermitteln, ist aber schwierig. Die Bedürfnisse der Betroffenen sind individuell und können sich immer wieder ändern. Mit Achtsamkeit gegenüber dem betroffenen Mitarbeiter fahren Vorgesetzte und Kollegen auf jeden Fall gut. Und klar sollte ihnen sein: der Patient ist nicht allein für eine erfolgreiche Rückkehr an den Arbeitsplatz verantwortlich.Finanzielle Ausfälle während der Krankheit werden im Normalfall von der Taggeldversicherung kompensiert. Diese ist in der Schweiz aber nicht obligatorisch. Die Taggeldversicherung zahlt während maximal zwei Jahren, ab dann ist die Invalidenversicherung (IV) zuständig. Zeichnet sich eine längere Abwesenheit ab, müssen sich Betroffene rechtzeitig um eine Anmeldung bei der IV bemühen. Wird nach einer Krebsdiagnose der Job gewechselt, kommt erschwerend hinzu, dass Taggeldversicherungen Neumitglieder dann nicht vorbehaltlos aufnehmen – kehrt der Krebs zurück, gibt es unter Umständen kein Geld. Die Krebsliga leistet zwar finanzielle Soforthilfe, etwa für Kinderbetreuung oder Haushalt. „Man muss sich aber nichts vormachen: Krebs kann zu einschneidenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten führen“, sagt Rolf Huck.Geht es jemandem gesundheitlich schlecht, bringen Behördengänge oft zusätzlichen Stress. Wer Leistungen bezieht, fühlt sich zudem schnell einmal unter Generalverdacht. Wie Diana Rohner: „Immer wieder hat die Versicherung Druck auf mich ausgeübt. Ich bekam zu hören, dass andere Patienten während ihrer Chemotherapie auch arbeiten würden“, sagt die Architektin aus Zürich. „Das war krass.“Die dreifache Mutter war nach ihrer Brustkrebsdiagnose im Dezember 2014 fünfzehn Monate lang krank geschrieben. Wäre es nach der Versicherung gegangen, hätte sie schon während ihrer Therapie wieder zu 80 Prozent arbeiten sollen; im Frühjahr 2016 hatte sie aber erst die letzte Operation. „Damals schon zu arbeiten, wäre für mich zu viel gewesen“, meint Rohner. Konzentration, Belastbarkeit und Auffassungsfähigkeit hatten eine Zeitlang stark unter der Therapie gelitten. Schliesslich konnte sie rückwirkend dank einer Rechtsschutzberatung noch zwei weitere Monate Unterstützung erstreiten.Heute arbeitet die 34-Jährige in einem anderen Architekturbüro. Für sie habe es bei ihrem alten Arbeitgeber plötzlich nicht mehr gepasst, abends oder am Wochenende zu arbeiten. Schliesslich blieb sie immer die, welche mal krank war. „Das war schwierig – ich wollte einen Schlussstrich ziehen“. Am neuen Ort hat sie ihre Krebserkrankung schon während des Vorstellungsgesprächs erwähnt. Das Büro ist klein, man arbeitet eng zusammen – Diana Rohner wollte nicht, dass sich dies später zu einem Problem entwickelt, etwa für anstehende Arzttermine. „Die Krankheit ist Teil meiner Geschichte, ich fände es seltsam, sie nicht zu erwähnen.“ Dabei, räumt Rohner ein, sollte so viel Offenheit aber gut überlegt sein. Ihr Rat: Betroffene sollten sich am besten auf ihr Bauchgefühl verlassen.Obwohl es auch prominente Beispiele gibt, die ihre Krebsdiagnose öffentlich machen, wie etwa vor Kurzem Patrick Frost, Chef des Lebensversicherers Swiss Life, kann eine allzu grosse Offenheit auch kontraproduktiv sein. In einem Bewerbungsgespräch raten Experten eher davon ab, eine Krebsdiagnose zu erwähnen, um sich nicht unnötigerweise in eine schlecht Position zu bringen. „Es hängt vom Anforderungsprofil des ausgeschriebenen Jobs ab, ob ich jemanden einstellen würde, der zu einem früheren Zeitpunkt an Krebs erkrankt ist“, sagt Barbara Beringer, die als Geschäftsführerin des Vereins sozialinfo.ch ein KMU mit 14 Mitarbeitenden führt. Für Beringer, die letztes Jahr selbst an Brustkrebs erkrankt ist, wäre in einem solchen Fall wichtig zu wissen, wie lange die Erkrankung zurückliegt und ob noch Einschränkungen bestehen.Offene Kommunikation mit den Mitarbeitern bringe ihr Planungsspielraum, den sie als Arbeitgeberin brauche, sagt sie. „Erhalte ich als Chefin bei einer längeren Abwesenheit keine näheren Informationen vom erkrankten Mitarbeiter, sondern nur immer ein Arztzeugnis nach dem anderen, wird es schwierig.“ Harzt es bereits bei der zwischenmenschlichen Kommunikation, könne es eher passieren, dass jemandem nach Ende der Sperrfrist gekündigt wird. Beringer streicht aber auch die positiven Aspekte hervor. Die Auseinandersetzung mit einer lebensbedrohlichen Krankheit bringe neben vielen Einschränkungen auch Aufschluss über die eigenen Grenzen und führe zu mehr Sozialkompetenz und Empathie. „Diese Eigenschaften kommen letztlich auch wieder dem Arbeitgeber zugute.“Vor dem Schritt zurück ins Arbeitsleben ist es für Krebsbetroffene zuerst einmal wichtig, sich darüber klar zu werden, welchen Stellenwert die Arbeit im eigenen Leben überhaupt einnimmt. Auch die Einstellung der Architektin Diana Rohner hat sich geändert. „Heute setze ich stärker Prioritäten, arbeite meine Aufgaben zielorientierter ab“, sagt sie, während sie früher ihre eigenen Grenzen kaum beachtet habe. Heute arbeite sie aber nicht weniger oder schlechter. Zudem sei es für ihren Arbeitgeber ja von Vorteil, wenn sie Aufgabenstellungen hinterfragt und sich überlegt, wieviele Varianten von einem Plan nötig sind, anstatt einfach drauflos zu zeichnen.Auch Chantal Klein, deren Rückkehr an den früheren Arbeitsort zum Fiasko wurde, hat kurz nach ihrer Freistellung bereits wieder eine Stelle im selben Beruf gefunden. Im neuen Unternehmen weiss aber kaum jemand von ihrer Krebserkrankung; deshalb tritt sie hier auch nur anonym auf. Sie fühle sich gut damit. Energie findet Klein auch in ihrem Zweitjob als Schwimmlehrerin, den sie selbst während der Chemotherapie ausgeführt hat. Einmal besuchte ein ebenfalls krebskrankes Kind einen ihrer Kurse. Die Frage der Eltern, ob dies ein Problem sei, verneinte Klein – sie habe ebenfalls keine Haare. „Kein anderes Kind getraute, dazu sich eine seltsame Frage zu stellen“. Diese Erinnerung gäbe ihr Kraft und zeige, dass es sich lohnt, für die eigenen Ziele zu kämpfen.* Name geändert
„Manche werden viel zu rasch aufs Abstellgleis geschoben“
Die Langzeitfolgen einer Krebstherapie sind bei jedem anders, sagt Onkologe Urs S. Huber von der Klinik Hirslanden in Zürich. Denn nicht nur der Körper wird in Mitleidenschaft gezogen, sondern auch die Psyche.
Der Wiedereinstieg ins Berufsleben bald nach dem Ende einer Tumortherapie ist für viele Krebsbetroffene wichtig. Trotzdem kämpfen viele auch noch lange nachher mit den Spätfolgen der Therapie. Warum?
Welche Nebenwirkungen nach einer Therapie auftreten, hängt sehr stark von der jeweiligen Person und der Behandlungsart ab. Ich kenne Patienten, die zeigen auch nach intensiver Therapie keinerlei Anzeichen von Müdigkeit oder Erschöpfung. Die sind während der Behandlung motiviert und wollen nachher auch gleich wieder zurück in den Beruf. Einige haben aber vielleicht schon vorher ein eher schwächeres Immunsystem und haben bereits andere Krankheiten oder Operationen hinter sich. Wieder andere Betroffene kämpfen nach einer Krebsdiagnose möglicherweise mit starken Selbstzweifeln. Solche Personen haben ganz andere Voraussetzungen. Nebenwirkungen spüren sie meist stärker.Dann ist es bis zu einem gewissen Grad Einstellungssache, mit welchen Folgen Krebsbetroffene zu kämpfen haben und mit welchen nicht?
Wichtiger als die Einstellung ist die Wahrnehmung, das Empfinden der Patienten. Ein Arzt muss einem Patienten aber auch klar machen, dass es keinen Schuldigen für seine Krebserkrankung gibt. Als Arzt ist meine Aufgabe den Patienten möglichst gut über die Zusammenhänge zu informieren, was eine Therapie positives bewirkt, aber auch was sie ihm abverlangt. Das kann auch motivieren.Chronische Erschöpfung und Ermüdung, die sogenannte Fatigue, erleben viele Krebsbetroffene während oder nach einer Therapie. Welche medizinischen Ursachen gibt es dafür?
Die Fatigue hat verschiedene Wurzeln. Eine Chemotherapie beansprucht den Körper stärker als normal. Damit der Körper nicht vergiftet wird, müssen bestimmte Schadstoffe wieder ausgeschwemmt werden. Das heisst, der Stoffwechsel muss schon einmal mehr leisten. Werden gewisse Organe wie Leber, Niere oder der Herzmuskel zu stark belastet, resultiert das in Müdigkeitserscheinungen. Eine weitere Ursache ist auch der Mangel an roten Blutkörperchen, den bestimmte Chemotherapien ebenfalls verursachen können. Diese transportieren Sauerstoff zu den Organen. Sinkt ihre Zahl, macht das ebenfalls müde, man spricht von Anämie.Andere Krebsbetroffene leiden nach einer Therapie unter Konzentrationsschwäche. Woher kommt das?
Nach einer Ganzhirnbestrahlung zum Beispiel, ist Konzentrationsschwäche leider eine physiologische Folge. Häufig spielt jedoch psychische Überlastung mit. Etliche Menschen haben den Eindruck, nach ihrer Krankheit findet ihr Leben woanders statt. Man konzentriert sich darauf, was mit dem eigenen Körper geschieht, hat Angst der Krebs kehrt zurück. Das hemmt die Gedanken und kann zu Konzentrationsstörungen führen. Hier wirkt ein gutes soziales Netz motivierend. Trotzdem ist Depression eine der häufigsten Nebenwirkung einer Tumortherapie. Die Betroffenen leiden unter verlorenen Selbstwertgefühlen und haben Angst, nicht mehr die selbe Leistung erbringen zu können wie vorher.
Warum dauert es denn manchmal mehrere Monate, bis die Symptome wieder abgeklungen sind?
Ein Tumor wird als Verletzung des Körpers wahrgenommen. Im Umgang damit gibt es ganz verschiedene Strategien. Geht die Verletzung stark an die Psyche und kann sich der Patient nicht von Schuld und Selbstzweifeln lösen, so dauert der Rückgang der Symptome möglicherweise länger als bei jemandem der seine Krebserkrankung mechanistischer, als biologischen Vorgang betrachtet. Einigen Betroffenen hilft möglicherweise der Austausch in einer Selbsthilfegruppe, wobei dann aber auch manchmal die Gefahr besteht, dass Patienten in der Gruppe Probleme gegenseitig noch verstärken. Anderen hilft es wiederum, wenn sie von ihren Angehörigen in die Sprechstunde begleitet werden und so die soziale Vernetzung stärker gefördert wird.Wie beobachten Sie die Reintegration Ihrer Patienten in den Arbeitsmarkt?
Ist der Arbeitsplatz intakt so kann es manchmal die beste Therapie sein, auch während der Chemotherapie in reduziertem Umfang weiterzuarbeiten. Mir begegnen aber auch wirklich traurige Situationen, wo die Betroffenen eigentlich physiologisch längst wieder gesund sind aber trotzdem keinen Ausweg aus ihren negativen Gedankenspiralen finden. Das macht krank.
Einige Chefs können leider zu wenig gut umgehen mit gewissen, eventuell nur vorübergehenden Leistungseinbussen der Mitarbeiter.
Was raten Sie denn einem Arbeitgeber der in seinem Betrieb mit einer Krebserkrankung konfrontiert ist?
Ich begrüsse es sehr, wenn Arbeitgeber auch mit mir das Gespräch suchen um gemeinsam mit dem Betroffenen eine Lösung zu finden, damit dieser seinen Job behalten kann. In der Praxis kommt dies aber viel zu selten vor. Einige Chefs können leider zu wenig gut umgehen mit gewissen, eventuell nur vorübergehenden Leistungseinbussen der Mitarbeiter. Schwächere Leute werden viel zu rasch auf das Abstellgleis geschoben. Im gemeinsamen Gespräch versuchen wir Lösungen zu finden, zu schauen wie der Arbeitsplatz gestaltet werden kann, damit der Patient weiterarbeiten kann.Es gibt aber auch andere Fälle, Krebsbetroffene die den Arbeitsplatz verlieren.
Das ist ein schwieriges Thema. Ich bin sehr dafür, dass man Impulse gibt, damit die Leute nach einer Krebstherapie wieder entsprechend ihrer Fähigkeiten arbeiten können. Leider verhalten sich auch staatsnahe Unternehmen nicht immer fair gegenüber ihren Mitarbeitern. Es zählt nur mehr Leistung, nicht mehr das Individuum. Fällt jemand aus, folgt dann gleich die Anmeldung bei der IV. Das deprimiert viele Betroffene zusätzlich. Mit kleineren Betrieben machen wir oft bessere Erfahrungen.Vor Kurzem machte der Chef des Lebensversicherers Swiss Life seine Krebserkrankung öffentlich. Wie bewerten Sie einen solchen Schritt?
Grundsätzlich finde ich sein Outing positiv. So ein Schritt hat aber auch zwei Seiten. Einerseits fühlen sich Betroffene dadurch möglicherweise stärker unter Druck gesetzt. Der Eindruck entsteht, in seiner Position als CEO könne er sich das leisten. Im Gegensatz zu einem selbst laufe er ja nicht Gefahr seinen Job zu verlieren.Der Artikel ist zuerst im Beobachter 9/17 erschienen