«Glow» und «Dietland»: Die TV-Serien nach #MeToo im Zwiespalt

Die neue TV-Serie «Dietland» (Amazon Prime) oder die zweite Staffel von «Glow» (Netflix) versuchen der #MeToo-Debatte gerecht zu werden. Sind das nur Stilübungen oder schon Zeichen einer nachhaltigen Veränderung?

Auch TV-Serien werden manchmal von der Realität eingeholt. In der NBC-Comedyserie «The Unbreakable Kimmy Schmidt» (seit 2015) spielte Matt Lauer, ein bekannter amerikanischer Journalist, den Mitfühlenden. Als er während eines Gastauftritts als TV-Moderator Entführungsopfer befragt, zeigt er sich erstaunt darüber, was Frauen alles über sich ergehen lassen, bloss um nicht unhöflich zu sein.

Vor ein paar Monaten rückte Lauer dann selbst ins Zentrum der Empörung. Im Zuge von #MeToo beschuldigten ihn Journalistinnen der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz und des Missbrauchs seiner Machtposition. Seinen Job bei NBC ist er inzwischen los.

Verkleinerter Magen und grosse Träume

Derzeit beschäftigen sich vor dem Hintergrund der #MeToo-Debatte gleich mehrere Serien mit Fällen wie jenem von Lauer. Einen besonders radikalen Zugang wählt die neue Serie «Dietland». In der schwarzhumorigen Rachephantasie von Matti Nixon («Buffy the Vampire Slayer», «Mad Men») üben Frauen blutige Vergeltung an ihren Peinigern.

Erzählt wird die Geschichte von Plum Kettle (Joy Nash). Übergewichtig und voller Selbstzweifel, spart sie für eine Operation, um sich den Magen verkleinern zu lassen. Sie träumt von dem Tag, an dem sie endlich schlank sein wird. Alicia, ihr neues Ich, soll alles machen können, was sich Plum verwehrt: Attraktiv und erfolgreich, wird sie geliebt und begehrt. Was Plum sich selbst nicht zugesteht, lässt sie anderen zugutekommen. Sie beantwortet E-Mails von jungen Frauen, die hilfesuchend an die Chefredaktorin (Julianna Margulies) des Teenie-Magazins «Daisy Chain» schreiben, standardmässig mit dem Rat, sich nicht von gesellschaftlichen Idealen beeinflussen zu lassen.

«Dietland» ist eine sehenswerte Abrechnung mit der Schlankheitsindustrie und dem Körperkult. Es geht um einen Frauenkörper, der nicht den gesellschaftlichen Normen entspricht. Tag für Tag leidet Plum unter Bodyshaming, kritischen Blicken und einem Gefühl des Versagens, da sie es nicht schafft, Gewicht zu verlieren. Die ganzen unerreichbaren Schönheitsideale vereinen sich in der glatten, perfekt gestylten Welt von «Daisy Chain».

Für Plum gibt es dort jedoch keinen Platz, sie hat unsichtbar zu bleiben. Selbst als sie über eine Modeschau für übergewichtige Frauen berichten soll, darf sie das nur via Live-Stream tun. Wenig verwunderlich, übt die feministische Terrorgruppe Jennifer, die Missbrauch und Diskriminierung mit tödlicher Entschlossenheit rächt, einen immer grösseren Reiz auf Plum aus.

Mit Plums Körper geht die Serie verblüffend offen um. Immer wieder ist die Protagonistin in verschiedenen Stufen der Entkleidung zu sehen. Auf subtile Weise bringt «Dietland» so die Zuschauer dazu, ihr eigenes Bild eines medial repräsentierten Frauenkörpers zu hinterfragen. Es ist allerdings fraglich, ob in Zeiten, in denen die Werbeindustrie übergewichtige Frauen längst als Models entdeckt hat, ein nackter Frauenkörper jenseits der Normen überhaupt noch zu provozieren vermag.

Weniger Muskeln, mehr Strategie

Auch «Glow» («Gorgeous Ladies of Wrestling», seit 2017) beschäftigt sich in der neuen Staffel mit Sexismus und Machtmissbrauch. In der Netflix-Produktion, die auf der gleichnamigen, von 1986 bis 1990 ausgestrahlten US-Show beruht, wird die Geschichte einer Wrestling-Show erzählt. Jede Woche ringen Zoya the Destroya, Liberty Belle, Welfare Queen und ihre Kolleginnen in sorgfältig einstudierten Kämpfen um die Krone für die beste Wrestlerin.

Hinter den Kulissen regiert allerdings ein Boys Club. Als der Chef des TV-Senders gegenüber einer Mitwirkenden zudringlich wird und sie vor der versuchten Vergewaltigung flieht, erntet sie Kritik von ihren Kolleginnen. Sie habe die Regeln in der Unterhaltungsindustrie verletzt und gefährde dadurch die Existenz der ganzen Show. Der Senderchef seinerseits hat keine Konsequenzen zu befürchten.

Es sind die achtziger Jahre, und #MeToo ist noch weit entfernt. Die Retorsionsmassnahme sieht dann so aus, dass die «Gorgeous Ladies of Wrestling» umgehend auf einen schlechteren Sendeplatz verschoben und prompt mit tieferen Einschaltquoten abgestraft werden.

In der zweiten, neuen Staffel der Serie rücken nun die verschiedenen Strategien, mit denen sich die Frauen in dem männlich dominierten Arbeitsfeld zu behaupten versuchen, ins Zentrum. Nicht immer gelingt ihnen das: Kreative Ideen der Frauen für die Show schmettert der Regisseur Sam Sylvia (Marc Maron) erst einmal ab. Neben dem Ring dürfen sich Frauen in erster Linie als Handlangerinnen betätigen. Als eine der Wrestlerinnen durch geschickte Verhandlungen zur Co-Produzentin aufsteigt, halten ihre Kollegen Produktionsmeetings einfach hinter ihrem Rücken ab. Erst mit der Zeit gelingt es den Protagonistinnen, hier ihren Platz zu finden.

«Glow», mitproduziert von der Autorin und Produzentin Jenji Kohan («Orange is the New Black», «Weeds»), überzeugt in der Verbindung von Komik mit ernsten Themen. Kohan übernimmt ihre etablierte Formel: Ähnlich wie bei der Knast-Serie «Orange is the New Black» («OITNB», seit 2013) steht auch hier eine Gruppe zufällig zusammengewürfelter Protagonistinnen im Zentrum der Erzählung. Probleme werden meist innerhalb dieser geschlossenen Gesellschaft diskutiert und gelöst. Bei «OITNB» funktioniert dies gut, weil die Frauen als Insassinnen eines Gefängnisses weitgehend auf sich selbst zurückgeworfen sind und sich in Solidarität und Allianzen in diesem Kontext ein wechselndes Machtgefüge bespielen lässt. Bei «Glow» hingegen wirkt diese narrative Struktur stellenweise etwas aufgesetzt, weil die Figurenzeichnung weniger tief geht, als man sich wünschen würde.

Wo «OITNB» mehr Raum für Diversität und unterschiedliche Körperbilder lässt, bedient sich «Gorgeous Ladies of Wrestling» dagegen ganz beim Ideal und der Mode der achtziger Jahre: sexy, mit hochtoupierten Frisuren und hautengen Spandex-Kostümen. Zudem wirken vor allem die beiden Hauptdarstellerinnen (Alison Brie, Betty Gilpin) etwas gar grazil. Wer Aufnahmen der muskulösen, durchtrainierten originalen «Glow»-Wrestlerinnen gesehen hat, fragt sich, ob die schmächtigen Darstellerinnen einem wirklichen Wrestlingkampf auch tatsächlich gewachsen wären.

Ausnahmen von der Regel?

Es muss sich zeigen, ob die durch #MeToo angestossenen und nun von diesen Serien aufgegriffenen Themen auch tatsächlich Zeichen einer nachhaltigen Veränderung sind oder ob #MeToo nur als wohlfeiles Marketingschlagwort der Sender und Streamingplattformen dient. Aufschlussreicher als die fiktionalen Geschichten wären da schon die Bedingungen für Frauen hinter den Kameras. Und da gelten die aktuellen Beispiele, die zumindest von Frauen mitproduziert und geschrieben wurden, immer noch als Ausnahme von der Regel.

Der Text ist am 29. Juni zuerst in der NZZ erschienen

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