Donald Trump bekommt eine Regenbogenfamilie

Die neue HBO-Serie «Here and Now» will ein Zeitbild Amerikas unter Trump zeichnen. Aber funktioniert das Realitätskonzept von Alan Ball («Six Feet Under»)

Nicht mal die Flucht in die Natur bietet dem Philosophieprofessor Greg Boatwright (Tim Robbins) in der TV-Serie «Here and Now» eine Linderung seiner Midlife-Crisis. Als Boatwright, anstatt zu einer Konferenz zu fahren, aus einem Impuls heraus einem Hirsch in den Wald folgt, verläuft er sich. Nur mit Müh und Not findet Boatwright wieder zurück auf die Strasse.

Die Szene wirkt symbolhaft für «Here and Now», die neue Serie von Drehbuchautor und Regisseur Alan Ball («Six Feet Under», «American Beauty»), die in den USA auf dem Bezahlsender HBO zu sehen ist. Der Versuch, hier ein Porträt der liberalen Gesellschaft in den USA nach einem Jahr unter Präsident Trump zu zeichnen, ist äusserst ambitioniert. Doch das Projekt droht immer wieder an den eigenen Ansprüchen zu scheitern.

Erzählt wird die Geschichte von Familie Bayer-Boatwright: Philosophieprofessor Greg unterrichtet an einer Universität, Audrey Bayer (Holly Hunter), eine ehemalige Therapeutin, leitet nun eine NGO, die mehr Empathie für Kinder aufbauen möchte. Die beiden «Krieger für soziale Gerechtigkeit», wie Ball sie nennt, haben drei mittlerweile erwachsene Kinder aus verschiedenen Ländern adoptiert, Teenager Kristen ist das einzige leibliche Kind im Regenbogenfamilien-Konzept der Bayer-Boatwrights.

An Hunter und Robbins liegt es nicht

Die Handlung setzt ein, als Sohn Ramon plötzlich zu halluzinieren beginnt. Seine Trugbilder (eine Frau im roten Badeanzug, Schmetterlinge und die Zahlenkombination 11:11) deuten auf eine übernatürliche Verbindung zwischen ihm und einem iranischstämmigen Psychotherapeuten hin. Die Handlung schleppt sich dahin, zu blass und holzschnittartig bleiben vielfach die Figuren. In ihrer liberalen, teilweise ziemlich selbstgerechten Filterblase steckt zu wenig Identifikationspotenzial.

Zwar agieren bei «Here and Now» mit Hunter und Robbins zwei altehrwürdige Oscarpreisträger vor der Kamera. Doch trotz ihrer überzeugenden Leistung schaffen sie es nicht, das Material wirklich zum Leben zu erwecken. Die Narration bleibt der Schwachpunkt der Serie. Zu stark hat Alan Ball, der immerhin massgeblich daran beteiligt war, dass HBO zu einer Marke für anspruchsvolle TV-Narration wurde, die Serie mit Diskursen überfrachtet.

Bereits in den ersten paar Folgen werden aktuelle Debatten von Sexismus über «Black lives matter» bis zur Migration und zu den LGBT-Rechten verhandelt. Mit dem Ergebnis, dass die Dialoge stellenweise wirken, als ob sie den Kommentarspalten aktueller Tageszeitungen entnommen worden wären.

So muss Audrey beispielsweise einen Streit in einer Schule schlichten, wo weisse Schüler einen Klub ausschliesslich für Weisse gründen wollen mit dem Argument, sie hätten genauso wie Schwarze, Latinos oder LGBT-Studierende das Recht auf Vertretung. Pflichtschuldigst wird hier durchexerziert, wie gegenseitiges Zuhören und Empathie die Probleme einer gespaltenen Gesellschaft lösen können. Packendes Fernsehen sieht anders aus.

Wo Dynamik entsteht

Dabei wäre ein Zurück zu mehr Realismus und Alltagsbezügen in TV-Serien durchaus eine willkommene Option. Gesellschaftskritik muss nicht nur als Dystopie (wie in «The Handmaid’s Tale» oder im Horrorfilm «Get Out») daherkommen.

Zwischendurch gelingt dies «Here and Now» auch. Etwa wenn Unvorhergesehenes in das geordnete Leben der Familie einbricht: Nach einem Zusammenstoss mit einem radikalen Abtreibungsgegner werden Kristen und ihre Schwester Ashley, die in Liberia geboren wurde, verhaftet. Während Kristen die Episode auf dem Polizeiposten als einziges Abenteuer und Futter für ihren Instagram-Account betrachtet, muss sich Ashley dagegen als schwarze Frau Fragen nach dem Preis ihrer Handtasche gefallen lassen. Sie beginnt sich nach dem Vorfall zu radikalisieren und lernt auf einem Schiessplatz den Umgang mit einer Waffe.

Aber diese Familie Bayer-Boatwright lässt einen schliesslich doch etwas ratlos zurück. Dabei weiss Alan Ball seit «Six Feet Under» eigentlich, was eine gute Familienserie ausmacht. Auch bei den Fishers und ihrem Bestattungsunternehmen ging es um Liebe, Tod, Alter und die Frage nach dem, was bleibt. Die Protagonisten machten Fehler. Nicht immer waren wir mit ihnen einverstanden. Im Verlauf der fünf Staffeln sahen wir sie aber mit ihren Entscheidungen wachsen. Damit schuf Ball einen unwiderstehlichen narrativen Sog, der auch mehr als zehn Jahre nach dem Ende von «Six Feet Under» nichts von seinem Reiz verloren hat. Dass «Here and Now» das Gleiche schafft, darf getrost bezweifelt werden.

Der Text ist zuerst am 11. April 2018 in der NZZ erschienen

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